
Bei mir kamen sie nicht plötzlich, sondern haben sich langsam über gewisse Zeit immer weiter aufgebaut.
Ein paar Fakten zu meiner Vorgeschichte:
Mutter Alkoholikerin, Scheidung der Eltern im Alter von 12 Jahren, aufgewachsen beim Vater, Vater oft emotional abwesend, Mutter emotional und dann auch physisch abwesend, Krebsdiagnose – Mutter gestorben als ich 20 Jahre alt war.
Das war grob gesprochen mein Rüstzeug, mit dem ich auf die Welt losgelassen wurde. Trotz vieler unschöner Dinge in meiner Kindheit durch die Sucht meiner Mutter, versuchte ich dennoch ein sehr fröhlicher Mensch zu sein. Doch ich vermied es, mich zu Hause aufzuhalten. Meine frühe Kindheit war geprägt durch Angst. Nicht zu wissen, was mich erwartet, wenn ich von der Schule nach Hause kam, war kein schöner Zustand.
Irgendwann wurde meiner Mutter dann von ihrem Arbeitgeber in den Entzug „gezwungen“, sonst hätte sie ihren Arbeitsplatz verloren. 3 Monate Kontaktsperre – ohne dass irgendwer groß mit mir darüber gesprochen hat.
Als ich 12 Jahre alt war, ließen sich meine Eltern scheiden und ich musste vor dem Familienrichter im Beisein meiner Eltern sagen, bei wem ich bleiben möchte. Es stand zwar fest, dass ich natürlich bei meinem Vater bleibe, doch es nochmal vor beiden aussprechen zu müssen, zerriss mir damals fast das Herz.
Nach der Scheidung dann lernte ich meine Mama eigentlich erst so kennen. So, wie sie wirklich war. Liebevoll, fürsorglich und sie wurde nach dem Entzug zu der Mama die ich mir immer so gewünscht hatte. Mitten in der Pubertät brauchte ich sie an meiner Seite. Wir waren zwar räumlich getrennt, doch alle 4 Wochen fuhr ich sie besuchen und wir konnten immer telefonieren.
7 Jahre lang hatten wir eine sehr schöne, liebevolle Beziehung zueinander. Bis sich plötzlich etwas sehr wesentliches veränderte. Die Telefonate veränderten sich, ihre Art war seltsam und sie log mich plötzlich an. Ich hatte zwar einen Verdacht, aber…das konnte nicht sein?!?
Im September 1997 fuhr ich das erste Mal mit meinem damaligen Freund zu ihr zu Besuch. Irgendwas war seltsam, doch ich kam noch nicht drauf, was es war. Bis es mir den Boden unter den Füßen wegzog. Sie hatte wieder angefangen zu trinken. Ich war wie gelähmt und wollte nur noch weg von ihr! Ich war so unendlich enttäuscht! Der Heimweg zog sich elendig lang hin, denn ich war so durcheinander, dass ich nicht mehr wusste wo ich lang musste.
Dann herrschte erstmal Funkstille. Bis Ende September die Diagnose Krebs kam. Und dann ging alles rasend schnell…Wie wenig Überlebenschance sie in Wirklichkeit hatte, war mir damals nicht bewusst. Ich hatte Hoffnung bis zum Schluss. Dann verstarb sie und meine kleine Welt brach völlig zusammen. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich sie nie wieder sehen würde, nie wieder mit ihr sprechen könnte. Sie war einfach weg.
Noch lange danach träumte ich das ein oder andere Mal von ihr. In meinen Träumen war sie einfach nur weggezogen und ich wusste nicht wohin. Irgendwann fand ich heraus wohin und da stand sie wieder vor mir. Ich habe den Tod meiner Mutter nie wirklich verarbeitet, weil ich schon damals weiter funktionieren musste. Ich war im ersten Ausbildungsjahr, da konnte ich nicht lange ausfallen. Unterbewusst beschäftigte mich das Ganze viele Jahre lang.
Bevor ich damals umgekippt bin befand ich mich schon einige Zeit in einer Nagativspirale. Sehr lange Beziehung, die nicht mehr wirklich glücklich war, jahrelange alleinige finanzielle Verantwortung, kaum Rückhalt, keine Familie in direkter Umgebung. Ich wurde Mama, doch ich konnte nicht zu Hause bleiben. Ich musste damals nach dem Mutterschutz direkt wieder arbeiten. Vollzeit! Ich war der Alleinverdiener! Dadurch hatte ich enormen Druck!
2010 verlor ich plötzlich, nach einer Erkältung meinen kompletten Geruchssinn. Doch es wurde nie eine Ursache gefunden. Er blieb einfach weg. 4 verdammte Jahre lang! Was dies an Einbuße an Lebensqualität bedeutet kann sich wahrscheinlich kaum jemand vorstellen.
Dann kam 2012 die Trennung und nun stand ich da mit einer 2,5 Jährigen und wusste zunächst nicht, wo hinten und vorne ist. Und dann nahm das Schicksal seinen Lauf.
Ich konnte nicht mehr richtig schlafen, wurde ständig wach. Sobald ich wach war, ging die Birne an und ich war im Kopf schon immer 5 Schritte weiter, weil ich nicht wusste, wie ich das alles schaffen sollte. Ich war immer rastlos, obwohl ich stehend k.o. war. Abends habe ich mich mit irgendwelchem Quatsch im Fernsehn berieseln lassen, ohne wirklich etwas mitzukriegen und fiel oft schon auf dem Sofa in einen komatösen Tiefschlaf. Bis ich mitten in der Nacht wach wurde und teilweise gar nicht wusste, wo ich bin. Panisch hechtete ich hoch, schleppte mich ins Bett und konnte dann nicht wieder einschlafen. Und so startete der neue Tag dann schon unausgeruht und schlecht gelaunt. Ein Teufelskreis!
Die schwarze Maske nahm mich immer mehr in Besitz. Ich konnte nicht mehr fühlen, fühlte mich innerlich leer und ausgebrannt. Meine Augen waren traurig und mein Blick war getrübt. Ich nahm positive Dinge nicht mal mehr wahr. Selbst der schönste Sonnenschein war für mich ein verschwommenes grau in grau.
Wenn man mich fragte, wie es mir geht, wollte niemand meine ehrliche Antwort hören und so wurde ich immer wütender! Wütend auf mich und vor allem wütend auf diese ungerechte Welt! Ich stand total neben mir, und wurde durch das ständige Multitasking immer unzuverlässiger. Ich fing 5 Sachen gleichzeitig an und brachte kaum eine vernünftig zu Ende. Die Fehler, vor allem auch auf der Arbeit häuften sich… Ich war ständig auf der Flucht, so unbewusst, dass ich teilweise nicht mehr wusste, wie die Fahrt von der Arbeit nach Hause ablief. Bis ich das Ganze mir selbst gegenüber nicht mehr verantworten konnte. Eine Auseinandersetzung auf der Arbeit brachte dann das Fass für mich zum Überlaufen und so zog ich dann die Notbremse.
Dann war ich krankgeschrieben…Das erste Mal in meinem Leben stand auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine böse F-Diagnose. Die F-Diagnosen beziehen sich bei den ICD-10 Schlüsseln auf psychische Erkrankungen. Und ich wusste, wie man in unserer Gesellschaft, gerade auch durch meine Arbeit, über Menschen mit F-Diagnose denkt und hinterm Rücken redet. Du wirst abgestempelt!!! Aber sowas von!
Ich bin mit dem Thema sehr offen umgegangen. Doch es war, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Es konnte kaum jemand damit umgehen. Und Du bietest damit natürlich auch eine gewisse Angriffsfläche.
Außer bei zwei meiner besten Freundinnen stieß ich damit überwiegend auf Unverständnis und Ablehnung. Heute weiß ich auch warum. Viele Menschen können bzw. wollen sich damit nicht beschäftigen, weil es bedeuten würde, sie müssen Gefühle zulassen. Doch das tut leider manchmal weh und deshalb wird es von vielen schlichtweg abgelehnt. Es könnte nämlich passieren, dass bei einem selbst etwas ähnliches zu Tage kommt.
Die erste Frage meines Vaters damals war, was denn mein Arbeitgeber dazu sagen würde? War mir in dem Moment ziemlich Latte, ehrlich gesagt!
Die geilste aller Fragen, die mir in dem Zusammenhang gestellt wurde, war: …ob ich denn dabei auch Fieber hätte und schon mal beim Arzt war, damit er mir dagegen etwas verschreibt? Alter!!!!!! (Sorry!… Alter ist ein Überbleibsel aus meiner Jugend, dass ich mir leider nicht abgewöhnen kann und auch nicht möchte!)
Eine weitere schöne Verurteilung des Ganzen ergab sich im erweiterten Familienkreis. Dort hieß es, was wir denn immer alle hätten? Burnout, sowas hätte es zu seiner Zeit nicht gegeben. Das wäre doch nur wieder so eine Modeerscheinung. Doch dann wurde dieser jemand darauf hingewiesen, dass er doch selbst mit Ende 30 einen Herzinfarkt hatte. Das ist aber natürlich etwas völlig anderes! Bei einem Herzinfarkt bekommst Du ja auch noch einen Orden für besondere Verdienste, weil Du ackerst wie ein Blöder. Doch leider ist es nur ein Zeichen dafür, dass diese Leute aber mal auch so gar nichts verstanden haben. Denn sie haben so lange die Anzeichen Ihres Körpers ignoriert, bis er Ihnen gezeigt hat, wo es wirklich lang geht.
Wäre diese Tatsache mehr Menschen bewusst, dann würde es Dinge, wie Herzinfarkt und Schlaganfall wesentlich seltener geben. Aber, …die meisten leben völlig unbewusst und laufen einfach weiter in Ihrem Hamsterrad. Tag für Tag, Ihr Leben lang!
Ich wurde damals oft als schwach bezeichnet, weil ich plötzlich halt nicht mehr so funktioniert habe, wie es alle von mir gewohnt waren. Reiß Dich zusammen, stell Dich nicht so an, waren oft gehörte Sätze.
Das ist leicht gesagt, doch einfach mal kurz zusammenreißen kannst Du Dich bei Depressionen nicht! Die Depressionen nehmen einfach Besitz von Dir ein, ob Du willst oder nicht!
Das es jedoch ein hohes Maß an Stärke benötigt sich seiner Erkrankung und damit seiner Vergangenheit zu stellen und diese aufzuarbeiten wurde nicht gesehen, geschweige denn verstanden.
Ich hatte sehr daran zu knabbern, dass mich meine Eltern in meiner damaligen Wahrnehmung anscheinend nicht so lieben konnten, wie ich war. Nie war ich gut genug. Wenn ich nicht gehorchte, entzog man mir die Aufmerksamkeit und Zuwendung. Ich fühlte mich so klein und ungeliebt, missverstanden und kaum beachtet. Niemand sah mich und meine Wünsche. Ich habe sehr viele Dinge schwer verurteilt und habe mich in Selbstmitleid verloren. Vor meiner Tochter versuchte ich mir das alles nicht anmerken zu lassen, doch das funktionierte natürlich nicht wirklich.
Bis ich eines Tages vorm Spiegel stand und in meine leeren Augen sah. Plötzlich hatte ich eine sehr harte Erkenntnis. Ich hatte meine Mutter sehr dafür verurteilt, dass sie während ihrer Sucht kaum für mich da war. Sie war mit sich und ihrer Krankheit zu sehr beschäftigt. Und dann sah ich mich. Was tat ich denn bitte gerade meiner Tochter an? Ich habe zwar nicht getrunken, doch ich war auch nicht richtig für sie da. Ich war ebenfalls emotional oft abwesend und konnte ihr nicht in dem Maße die Aufmerksamkeit geben, wie es Kinder in Ihrem Alter benötigen.
An dem Tag fiel dann mein Entschluss zur Reha zu fahren – für mich und meine Tochter.
Fortsetzung folgt…
Euer FrlCori