Gedankensprünge

Wenn Worte meine Sprache wären

Mein damaliger Tutor beim Abi meinte mal zu mir: Frl., Sie sind ein schriftlicher Zwerg und ein mündlicher Riese! Zu meiner Abi-Zeit war das tatsächlich so. Meine Noten waren eher Durchschnitt und ich erfüllte mal gerade das schriftliche Soll. Mündlich konnte ich meine Noten aber immer wieder rausreißen. Ich habe schon immer viel gesprochen – normal für mich als Frau!

In meiner Sturm-und Drangzeit habe ich auch selten ein Blatt vor den Mund genommen. Bis heute sage ich, was ich denke! Nur mit mehr Bedacht und artig-anders!

So als Frau hat man am Tag sehr viele Worte zur Verfügung, die alle gesprochen werden wollen. Nur was, wenn sie diese nicht mehr los wird? Wenn keiner da ist, der sie hören will?

Bei mir wurde dieses Sinnbild von dem mündlichen Riesen und dem schriftlichen Zwerg irgendwann im Laufe der Jahre ein wenig umgekehrt. Zwar spreche ich immer noch und auch nicht gerade wenig, doch ich stelle immer wieder fest, dass das gesprochene Wort bei vielen nicht mehr so viel zählt.

Mit meinem damaligen Freund war ich bereits mehrere Jahre zusammen und wir hatten schon einige Höhen und Tiefen hinter uns. Irgendwann waren die Verstrickungen zwischen uns so groß, dass die gesprochenen Worte immer eher zu Streit führten und so wurde ich immer leiser.

Beruflich telefoniere ich jeden Tag sehr viel. Dabei kommt es darauf an, den Sachverhalt schnell zu erfassen, zu entscheiden und die Gesetzeslage richtig und verständlich zu erläutern. Das mache ich gerne und hier versuche ich immer den Schulterschluss mit dem Kunden zu erreichen, was mir meistens auch gelingt.

Im Privaten hat dies jedoch dazu geführt, dass ich selten bis gar nicht mehr telefoniere. Wenn mich Freundinnen anrufen, kann ich leider nicht wesentlich länger als 10 Minuten zuhören, dann schaltet sich mein Hirn aus. Overloaded!

Andere wiederum bevorzugen immer noch das persönliche Gespräch. Ja, tatsächlich! Das gibt es noch im digitalen Zeitalter. Oder auch gerade deshalb!?! Ich bin mittlerweile soweit, dass ich meine häufigsten Gesprächspartner frage, welches ihr bevorzugter Kanal ist, damit es auch gut funktioniert mit der Kommunikation.

Aber ist Euch schon mal aufgefallen, dass heute kaum noch jemand richtig zuhört? Mir wurde das besonders deutlich in Bezug auf meine Tochter. Als sie so 4-5 Jahre alt war quatschte sie natürlich andauernd dazwischen.

Und so, wie wir es alle irgendwann mal beigebracht bekommen haben, haben wir ihr auch erklärt, dass man das nicht macht. Auch von außen kam öfter mal die Bemerkung, dass man doch Erwachsene nicht unterbricht. Verstanden hatte sie das zwar, aber es passierte natürlich immer wieder. Irgendwann habe ich meine Tochter dann mal gefragt, weshalb sie sich nicht daran hält? Und, was soll ich sagen? Ihre Antwort traf es genau auf den Punkt. Weil die Erwachsenen sich gegenseitig doch auch nicht ausreden lassen! Und damit hatte sie vollkommen Recht!

Ab diesem Zeitpunkt habe ich das für mich mal beobachtet. Und es ist tatsächlich so. Viele fallen sich ständig gegenseitig ins Wort. Das ist teilweise echt erschreckend! Wie kann ich dann von einem Kind erwarten, dass es sich anders verhält?

Für mich ist es eine Frage von Bewusstsein. Vielen Erwachsenen ist diese Tatsache überhaupt nicht bewusst. Sie hinterfragen sich hier auch nicht. Oft läuft es leider so, dass die Erwachsenen richtiges Verhalten erwarten, aber gar nicht merken, dass sie es selbst nicht besser machen. Was wir jedoch vergessen ist, dass wir die Vorbilder unserer Kinder sind und Sie uns hier nur den Spiegel vorhalten.

Durch diese Erkenntnis bin ich bei Erwachsenen mittlerweile sogar relativ schnell entnervt, wenn das passiert. Auch beruflich erlebe ich das sehr häufig bei meinen Kunden. Bei meinen Kunden, wo ich auch viel mit Beschwerden zu tun habe, war es früher teilweise so schlimm, dass sobald mir jemand ins Wort fiel, das Gespräch kaum mehr eine vernünftige Basis hatte. Ich merkte sofort, wie dann postwendend Wut in mir aufstieg. Und in dem Moment kannst Du dann selbst auch kaum noch vernünftig darauf reagieren.

Beruflich durfte ich dann vor 2 Jahren ein Seminar besuchen welches sich genau auf diese Problematik bezog. Umgang mit schwierigen Beschwerdegesprächen. Und dieses Seminar war so kostbar! Bis heute sind die Erkenntnisse daraus für mich so wunderbar hilfreich, dass ich für mich solche Eskalationen auf ein Minimum reduzieren konnte. Auch hier spielt der psychologische Aspekt eine wesentliche Rolle. Bei Beschwerden ruft der Kunde zumeist gefangen in seiner negativen Emotion (wütend über einen negativen Bescheid) bei uns an und filtert nicht. Wenn man dafür Verständnis aufbringt und unterscheidet, dass sich die Beschwerde nicht an Dich persönlich richtet, kannst Du ganz anders damit umgehen.

Allein diese kleine Erkenntnis sorgt zumindest bei mir dafür, dass ich in den Beschwerden keinen persönlichen Angriff mehr sehe. Mein persönlicher Trigger war und ist hier das ins Wort fallen.

Durch das Seminar bin ich mir dessen bewusst geworden und mittlerweile lasse ich die sogenannten Motzer am Telefon erstmal reden. Ich selbst schweige, solange, bis es demjenigen auffällt.

Worte haben eine unglaubliche Macht. Sie können berühren, aber auch sehr verletzen. Und am meisten verletzen können uns diejenigen, die uns am nächsten stehen.

Durch diese Dinge bin ich selbst wieder mehr zum Schriftlichen zurückgekehrt. In dem Moment, wo ich etwas schriftlich formuliere mache ich mir Gedanken über das was und wie und formuliere es vernünftig – im Normalfall.

Auch, wenn ich mich auf wichtige Gespräche vorbereite, merke ich für mich mittlerweile, dass es hilfreich ist, es kurz schriftlich zu fixieren. Das ist dann wie mein roter Faden, an dem ich mich orientieren kann.

Viele verstecken sich auch mittlerweile hinter der Anonymität des worldwideweb. Wenn ich manchmal Kommentare oder Rezessionen lese frage ich mich, ob dieser jemand im echten Leben auch den Arsch dazu in der Hose hätte, sich persönlich so zu äußern?

Sicherlich fragt ihr Euch, weshalb ich mir über diese Dinge so viele Gedanken mache? Andere tun dies schließlich auch nicht, sondern sind einfach so wie sie sind. Viele haben gar keine Lust sich damit auseinander zu setzen, welche Wirkung ihre Worte auf andere haben. Sie wundern sich dann häufig nur, wenn der Gesprächspartner anders reagiert als vielleicht erwartet.

Mein halbes Leben habe ich ebenfalls so verbracht, doch das führte oft zu Streit und Missverständnissen. Da ich die Menschen um mich herum aber nicht ändern werde, kann ich nur selbst überlegen, was ich ändern kann. Denn Veränderung beginnt immer bei Dir selbst!

Die Krux an der Kommunikation heutzutage ist häufig, dass die meisten sich in Vorwürfen formulieren. Das bewirkt sofort, dass Dein Gegenüber in eine Abwehrhaltung geht. Ich habe das sehr lange mit meinem Ex und auch meinem Vater so praktiziert. Sobald einer etwas sagte, drohte es sofort zu eskalieren, weil es jedes Mal als Angriff rüber kam. Somit war überhaupt kein vernünftiges Gespräch mehr möglich. Im Rahmen der Verhaltenstherapie wurden mir damals in der Reha hier einige wertvolle Anregungen mit auf den Weg gegeben.

Bleibe in der Formulieren bei Dir selbst. Nicht Du hast, Du solltest oder Du musst! Müssen schon mal gar nicht, denn…einen Scheiß muss ich! Wenn man Formulierungen wie: Ich möchte, ich wünsche mir, ich fühle mich…verwendet, bleibt man bei sich und greift sein Gegenüber nicht an. Somit bietet man dem anderen keine Angriffsfläche. Dieses Umdenken im Formulieren funktioniert natürlich nicht von heute auf morgen, sondern man kann nur versuchen, es für sich selbst immer wieder bewusst wahrzunehmen und dann über eine gewisse Zeit zu erlernen.

Ich habe diese Sache für mich umgestellt und merke im Gegensatz zu früher, dass meine Worte eine komplett andere Wirkung auf mein Gegenüber haben. Es kommt zu weniger Auseinandersetzungen und ich erreiche dadurch mehr. Ich lenke die Dinge durch meine Wortwahl in eine positive Richtung.

Böse Stimmen werden nun behaupten, dass man diese Fähigkeit auch manipulativ nutzen kann. Und mit Sicherheit wird es einige geben, die das auch tun. Aber glaubt mir, nur wenn das Gesprochene auch von Herzen kommt und man es auch wirklich so meint, wird es auch so angenommen.

Sollte man diese Dinge manipulativ verwenden, bin ich mir sicher, dass man nach kürzester Zeit dahintersteigt. Denn es ist dann nicht authentisch!

Warum mache ich mir also so viele Gedanken? Setze so viel Energie in das Umdenken in diesen Bereichen? Warum soll ich mich ändern, wenn es sonst auch keiner für mich tut? Weil es sich lohnt! Und nur weil alle anderen es nicht machen, ist es vielleicht auch gerade das, was mich anspornt. Alle anderen machen es doch auch so oder so… Das ist für mich so ein Satz, den hasse ich wie die Pest!

Ich bin nicht wie alle anderen! Ich bin anders! Artig-anders eben!

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