
Der Alptraum begann passender Weise am Freitag den 13. März 2020. An diesem Tag spitzte sich die Lage zu. Mein Team musste in ein anderes Stockwerk ziehen und es kam die Nachricht, dass die Schulen vorerst geschlossen werden.
Eindeutige Ansage, kurze Schockstarre. Doch dann erschreckend schnell ein klarer Kopf. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, es sei nur vorübergehend. Nur Vorsichtsmaßnahmen, um der Lage besser Herr zu werden. Flatten the curve! Doch seitdem nimmt der Alptraum stetig an Fahrt auf.
Zunächst ging es nur um die Kinderbetreuung inklusive Osterferien, also insgesamt 5 Wochen, die geplant werden musste. Nach der Ansprache der Kanzlerin war ich jedoch erschreckend klar und unaufgeregt. Ihre Rede hatte mich eindringlich erreicht und ging mir persönlich unter die Haut, denn in diesem Moment wurden wir alle Teil eines historischen Ereignisses.
Somit setzte ich mich hin und plante die 5 Wochen durch. Urlaub wurde verschoben und so war alles schnell geklärt. Durch die Patchwork-Konstellation und des glücklicherweise vorhandenen guten Verhältnisses war dies eine reine Formsache und innerhalb von 10 Minuten geregelt. Somit waren die ersten 4 Wochen schon mal safe. Vorerst…
Am 17. März 2020 habe ich eine Art Corona-Tagebuch gestartet, um die Gedanken und Gefühle, die während dieser Zeit so in einem hoch kommen, festzuhalten. Obwohl ich mich vorher überwiegend der medialen Ablenkung entzogen hatte, konnte ich mich förmlich selbst dabei ertappen, wie es mich immer mehr in seinen Bann zog.
Und genau das war und ist mit das Problem. Man kann sich dem Ganzen kaum noch entziehen. Überall wird man damit zugedröhnt. Nachrichten, Bilder, Beschränkungen, Auflagen. Große Unsicherheiten, keiner weiß genaues. Genau das macht es so schwierig. Anfangs fuhr ich noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, doch plötzlich kam man sich vor wie ein Schwerverbrecher, wenn man die Fahrt mit dem Zug überhaupt noch in Betracht zog. Von einem auf den anderen Tag war es plötzlich wie ausgestorben.

Der 20. März 2020 wird sich auf ewig in mein Gedächtnis brennen, denn an diesem Tag erhielten wir von unserem Arbeitgeber die Bescheinigung, dass wir im Fall des nationalen Notstandes, den es bis dahin schon in Spanien, Italien, der Schweiz und Österreich gab, zur Arbeit dürfen. Sehr mulmiges Gefühl!
Zunächst schien bei uns somit alles geregelt zu sein und irgendwie war es zwar fragwürdig, aber es machte einen zugleich auch ein bisschen stolz Teil dieser historisch hoffentlich einzigartigen Sache zu sein.
Dann stellte ein Anruf schlagartig alles wieder auf den Kopf. Der Vater meiner Tochter musste durch jobbedingten Kontakt in Quarantäne. Was nun? Nachdem die erste Schockstarre überwunden war dauerte es nicht lange und wir hatten eine Lösung gefunden, wie wir nun plötzlich zu zweit anstatt zu viert die Kinderbetreuung sicherstellen. Dank ausgeweiteter Arbeitszeiten haben wir uns ins Zweischicht-System bei der Kinderbetreuung begeben.
In meiner Woche Urlaub wollten wir eigentlich nach Mallorca fliegen. Alles gecancled. Das war auch ok, aber nun musste man sich halt andere Möglichkeiten suchen. Um mich herum schien die ganze Welt glücklich zu sein, dass sie zu Hause sitzen können, um Ihren Garten oder ihr Haus zu modernisieren. Grundsätzlich hatten wir das auch vor, doch für mich machte das alles plötzlich keinen Sinn mehr.
Vorher war ich jemand, der immer etwas fand fröhlich vor sich hin zu puddeln. Doch nun war ich wie gelähmt. Ich konnte mich zu nichts aufraffen. Weder Möbel renovieren, Schilder gestalten, nähen, noch mein Blog waren eine willkommene Option. Ich konnte einfach nicht. Egal, was ich machen wollte, es machte mir keinen Spaß! Notgedrungen sortierte ich Klamotten, räumte den Keller auf, entkrautete meine Beete und nähte fucking Masken.

Was zu Beginn der ganzen Geschichte extrem auffällig war: Wir haben Unmengen an Süßigkeiten verschlungen. NERVENNAHRUNG. Wahnsinn! Mein Freund wurde an der Kasse sogar mal gefragt, ob wir uns durch die Krise naschen wollen?
So vergingen dann 4 Wochen und zuletzt waren die Nerven deutlich angespannt, da sich der Rest der Tage zwischen Youtube, Fernsehen, mal ein bisschen nach draußen gehen und Abends Kniffeln, Stadt-Land-Vollpfosten oder Wer bin ich im Kreis drehte. Nach dem gefühlten hundertdrölften Mal Kniffeln lagen die Nerven dann auch einfach blank!

In der letzten Woche der Quarantäne habe ich das erste Mal in der Spätschicht gearbeitet. Von 16-21.30 Uhr. Das gab es vorher so noch nie. Irgendwie cool und blöd zugleich. Die Kollegen, die zu dieser Zeit überhaupt noch anwesend waren, verabschiedeten sich zumeist kurz nach meiner Ankunft auf der Arbeit und dann war man alleine. Cool daran war, dass ich unheimlich gut arbeiten konnte, da mich nichts abgelenkt hat. Blöd war, dass alle anderen längst Feierabend hatten und man selbst noch arbeiten musste.
Spooky wurde es dann jedoch, sobald es draußen dunkel wurde. So ganz alleine in einem riesigen 6 stöckigen Bürogebäude. Gruselig! 2 oder 3 Kollegen waren vielleicht noch zunächst im Haus, doch so ab 20.30Uhr war ich fast immer alleine. Schon irgendwie unheimlich!

Am Abend bevor meine Tochter endlich wieder zu ihrem Vater durfte, musste ich dringend den Familienrat einberufen. Da wir mittlerweile schon bei der Stimme von bestimmten Youtube-Voll-Hoschis oder umgekehrt meine Tochter bei der Lieblingsserie meines Freundes so abgenervt waren, musste hier dringend eine Aussprache erfolgen!
Als meine Tochter dann wieder zu ihrem Papa durfte entspannte sich zwar alles wieder ein wenig, doch ich selbst stand seit geraumer Zeit mächtig unter Druck.
Seit dem dem 20. März 2020 tauchten beim Robert-Koch-Institut plötzlich auch chronische Nierenerkrankungen bei den Risikogruppen mit auf. Doch keiner wusste genau, was das bedeutet!? Auf Nachfrage bei meinen Ärzten hieß es zu diesem Zeitpunkt: Können wir Ihnen nicht genau sagen, aber wir gehen davon aus, dass es nur Dialysepatienten betrifft!?
Dieser Zustand der Ungewissheit war so ziemlich das Schlimmste! Wenn Du nicht weißt, was wirklich Fakt ist? Ein ständiges Hin und Her zwischen Unsicherheit und Angst. Ich konnte gedanklich nicht mehr abschalten. Ständig drehten sich meine Gedanken im Kreis. Abends konnte ich nicht ausschalten, nicht einschlafen, lag wach und grübelte. In vielen Nächten wurde ich wach und konnte dann nur schlecht wieder zur Ruhe finden. Die Birne ging einfach nicht aus…!
Fortsetzung folgt…