Jeden Morgen, wenn ich aufwache scanne ich meinen Körper.
Geht es mir gut, oder tut mir wieder irgendwo irgendetwas weh? Die Tage an denen ich nichts finde sind selten geworden. Ich stehe auf, mache mich fertig, wecke meine Tochter für die Schule und sobald sie zum Bus geht, gehe ich hoch in mein Büro und starte im Home-Office.
6 Stunden beträgt meine tägliche Arbeitszeit. 6 Stunden an denen ich sitze, stumpf vor meinem Schreibtisch sitze. An manchen Tagen drehe ich durch weil ich nicht sitzen kann. Dann MUSS ich viele Pausen einlegen, damit ich den Tag irgendwie überstehe. Aus diesem Grund passiert es leider häufig, dass ich noch spät abends oben sitze, wenn alle längst Feierabend haben.
Aber, was willste machen? Ich hab meinen höherverstellbaren Schreibtisch halt nicht hier und der Bürostuhl – naja, ergonomisch ist was anderes! Also beiße ich mich durch, morgen ist es vielleicht schon wieder besser!?
So verbrachte ich die meiste Zeit im Home-Office. Du kannst jetzt nicht ausfallen, es sind nur noch ein paar Tage bis zu den Sommerferien. Ich dachte, das wäre mein Rettungsanker. Die ersten 3 Wochen wäre meine Tochter mit ihrem Papa im Urlaub und ich könnte mir ein bisschen mehr Zeit für mich selbst einplanen, um wieder runter zu kommen.
Meine Tochter war kaum weg, da fing mein Körper richtig an zu schreien. Kennt ihr Situationen, in denen man einfach nur noch funktioniert, ohne sich selbst zu spüren? Genau so ging es mir mindestens die letzten 6 Monate lang. Ich habe die Anzeichen weggedrückt und überhört, bzw. wollte sie mir selbst auch nicht eingestehen.
Es ist Dienstag, Ende Juli 2021 – die erste Ferienwoche. Seit nunmehr 425 Tagen befinde ich mich im Corona-Home-Office. Seit gestern habe ich Missempfindungen im rechten Arm bis in die Finger. Alles fühlt sich so pelzig an. Ich müsste eigentlich zum Arzt, gehe aber mal wieder nicht. Eigentlich hätte ich schon längst mal zum Arzt gemusst, aber… ich bin doch im Home-Office. Im Home-Office kann man nicht ausfallen. Leider tatsächlich ein Gedanke, den ich bis dahin geglaubt habe. Schließlich kann man sich den Tag ja aufteilen.
Über Nacht hat es sich wieder ein wenig beruhigt, also warten wir mal ab. Kaum sitze ich oben an meinem Schreibtisch kehrt dieses Engegefühl zurück. Es ist als würde mir jemand den Arm abklemmen. In meinem Handrücken drückt irgendwas. Ich überdehne meine Hand, meine Finger. Die Finger fangen an zu kribbeln. Nein! Bitte nicht schon wieder! Ich drehe durch!!! Auf die Maus, die ich mit der rechten Hand bediene, kann ich mich kaum konzentrieren. Meine linke Hand fummelt ständig an der rechten herum, in der Hoffnung, dass ich die vermeintliche Blockade irgendwie gelöst kriege. Funktioniert aber nicht. Scheiße! Als dann noch meine rechte Gesichtshälfte anfängt zu kribbeln kriege ich Panik!
Mein Körper schreit…seit Wochen oder sogar Monaten schon. Ich habe immer wieder Schmerzen. Nicht jeden Tag, aber fast jeden. Mal hab ich Kopf- und oder Nackenschmerzen, mal brennt die Wirbelsäule. Mal sitzt was quer oder klemmt irgendwas. Zwischen den Schulterblättern fühlt es sich manchmal so an, als würde mir jemand ein Messer in den Rücken stechen. Ständig ist irgendwas. Wenn es richtig schlimm ist, gehen die Muskeln zu, oder mir schießt die Hexe in die Lendenwirbelsäule. Manchmal so schlimm, dass ich nicht mehr richtig laufen kann oder gar nicht aus dem Bett komme. Ich kann nicht mehr! Diese ständigen Schmerzen zermürben mich!
Flashback ins Jahr 2015. Hier traten die Beschwerden erstmalig und ziemlich massiv auf. Zum damaligen Zeitpunkt stand mir ein 2 Jahre andauernder Ärztemarathon bevor. Mein Hausarzt schickte mich zur Abklärung zum Neurologen, Radiologen, Rheumatologen – keiner fand die Ursache. Dann war ich beim Orthopäden – dieser schickte mich ins MRT – Ergebnis: Tennisarm. Mir wurde ein Privatrezept für eine Salbe ausgestellt und damit wurde ich stehen gelassen.
2 Jahre vergingen, doch die Beschwerden blieben. 2017 entschloss ich mich den Arzt zu wechseln. Praxis für Sportmedizin. Wieder MRT – 4 Bandscheibenvorwölbungen in der HWS. 3 Monate krank mit konservativer Therapie. Der Therapiestandart sieht die Behandlung mit Schmerzmitteln und Physiotherapie vor. Bei mir war jedoch damals schon die Problematik, dass ich keine Medikamente wie Diclo oder Ibu durfte aufgrund meiner chronischen Nierenerkrankung. Somit musste ich durch diese Zeit ohne Schmerzmittel.
Anfang 2018 war ich dann beim Osteopaten. Dieser stellte fest, dass mein Becken auf der rechten Seite umgekippt war. Er behandelte mich dann 3 Mal im Abstand von jeweils 4 Wochen und ich war so gut wie beschwerdefrei. Zusätzlich erhielt ich damals auf der Arbeit über die Rentenversicherung einen elektrisch höherverstellbaren Schreibtisch, wo ich zwischen Sitzen und Stehen immer variieren konnte. Ich machte eine Wiedereingliederung über 6 Wochen und damit war meine Arbeitsfähigkeit dann vorerst wieder herstellt.
Hin und wieder hatte ich noch Beschwerden, jedoch dachte ich damals, dass ich ein Stück weit einfach damit leben muss. Man wird halt auch nicht jünger. Meistens machte meine Muskulatur dicht und zwar immer gerne dann, wenn ich mich besonders geärgert habe oder der Stress zu groß wurde. Also wohl doch eher Morbus Bahlsen. Einen an der Waffel! Bei meinem Hausarzt erhielt ich dann Spritzen in die Muskulatur und nach ein paar Tagen ging es dann meist wieder.
Doch auch hier wurden die Abstände immer kürzer. Anfang 2019 hatte ich dann das Gefühl, dass sich körperlich wieder etwas verschlechtert hat. Wieder hatte ich Ausfallerscheinungen und Missempfindungen im rechten Arm – also erneut ins MRT. Der Radiologe teilte mir jedoch mit, dass das MRT nicht das widerspiegelt, was ich geschildert hätte. Da wäre zwar was, aber das könne die Beschwerden nicht verursachen.
Sprachlos und völlig ungläubig verlies ich die Praxis. Wieso war da nichts? Ich bilde mir die Schmerzen doch nicht ein!? Oder doch? Da mein Umfeld zu dem Zeitpunkt oft genervt darauf reagierte, weil keiner mehr hören konnte, dass ich ständig irgendwo irgendwas hatte, versuchte ich die Sache anders anzugehen.
Vielleicht doch der innere Schmerz? Damit befasste ich mich dann eine ganze Weile und lernte irgendwie damit zu leben. Mal besser, mal schlechter. Wenn ich gearbeitet habe und eine hohe Belastung hatte wurde es schlimmer, am Wochenende oder wenn ich Urlaub hatte wurde es besser. Ich dachte, es sei darauf zurückzuführen, dass meine Muskeln unter Stress immer auf Kampf geschaltet sind. Wenn die Erholungsphasen dann nicht ausreichend sind, erholen die Muskeln sich nicht mehr von der Anspannung.
Zurück in der Gegenwart. 425 Tage im Corona-Home-Office.
Ich weiß nicht genau, wann die Beschwerden wieder massiver wurden. War ich überhaupt seit 2015 irgendwann mal richtig beschwerdefrei? Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern. Ich weiß nur, dass ich viele Dinge nicht mehr so kann wie vorher, weil mein Körper mir meine Grenzen aufzeigt, ganz deutlich.
Ich wurde von meinem Vater stets ermutigt, dass es nichts gibt, was ich nicht kann. Aus diesem Grund mache ich oft Sachen, die sonst Männern vorbehalten sind. Ob Rasen mähen, Hecke schneiden, mit der Motorsense arbeiten oder mit dem Hochdruckreiniger – alles Sachen, die ich kann und die ich gerne mache. Doch im Moment bin ich selbst nach Gartenarbeit (Unkraut zupfen) dann mindestens 3 Tage ein Totalausfall. Ich spüre Muskeln, wo ich vorher gar nicht wusste, dass ich dort welche habe. Und zwar massiv. Ich dachte immer, es wäre nur Muskelkater, doch mein ganzer Körper schmerzt.
Und diese Schmerzen zermürben mich…